Eine Versicherung schützt den Kunden vor den finanziellen Folgen eines Ereignisses. Die Rentenversicherung schützt mich vor den Folgen der Langlebigkeit.
Der Vermittler hat dafür zu sorgen, dass die Versicherung tatsächlich leistet. Unter welchen Voraussetzungen das passiert und welche Ausschlüsse es hierzu gibt, prüfe ich anhand der Bedingungen. Selbstverständlich kann ich auch auf diese Überprüfung verzichten und darauf spekulieren, dass das versicherte Ereignis nicht eintritt. Das ist allerdings ziemlich riskant und wird immer riskanter, je mehr Kunden ich habe. Denn ein Versicherungsfall, der mit der Wahrscheinlichkeit von 1 zu 1000 eintritt, tritt bei 1000 Kunden statistisch jedes Jahr ein. Logisch, oder?
Habe ich dann die Bedingungen nicht geprüft, muss ich den entstandenen Schaden ersetzen. Ich hafte dafür. Denn ich muss meine Kunden vor allem darüber aufklären, was eine Versicherung nicht kann. Und was sie kostet.
Folgen der Langlebigkeit sind das wahrscheinlichste Risiko
Sprechen wir über die Altersversorgung, so ist es sogar in jedem einzelnen Fall wahrscheinlicher, dass das versicherte Ereignis eintritt, als dass es das nicht tut. Irgendwann mal 67 zu sein tritt viel eher ein als z.B. eine Berufsunfähigkeit. Und dennoch werden immer wieder Tarife verkauft, die für Vermittler zu einem Haftungsfall werden können. Mindestens aber werden sie zu unangenehmen Gesprächen führen. Und das jedes Mal, wenn der Kunde 67 wird.
Der Sinn einer Rentenversicherung besteht grundsätzlich darin, dass der Versicherer das im Vertrag angesparte Kapital in einem zu Vertragsbeginn festgeschriebenen Verhältnis in eine lebenslange Rente umwandelt. Die Berechnung dieses Verhältnisses ist die wesentliche Aufgabe des Versicherers. Es muss zum einen gewährleistet sein, dass das Unternehmen in der Lage ist, das Risiko vollumfänglich zu übernehmen. Der Kunde hat ja auch nichts davon, wenn der Versicherer eine riesige Rente verspricht, er aber diese schon nach einem Jahr nicht mehr zahlen kann.
Lebenslange Rentenzahlung ist die Aufgabe des Versicherers
Zum anderen muss die Rente auch so hoch sein, dass der Versicherer überhaupt ein biometrisches Risiko übernimmt. Sollte die monatliche Auszahlung also so gering sein, dass der Kunde weit älter als seine angenommene Lebenserwartung werden müsste, um seine eingezahlten Beiträge wieder raus zu bekommen, kann hiervon freilich nicht die Rede sein.
In 2017 gibt es kaum noch eine Handvoll an Versicherern, die bereit sind, das Risiko der Langlebigkeit voll zu übernehmen. 2018 waren es noch weniger und 2019 gibt es das fast nur noch optional wählbar… In den Bedingungen finden sich immer wieder neue Einschränkungen. Überlese ich als Vermittler eine davon, dann kann es mir passieren, dass ich mit dem Kunden bei Renteneintritt ein unangenehmes Gespräch führen muss, in dem ich dann erklären darf, dass es vollkommen ok ist, dass der Versicherer nicht die Rente zahlt, die eigentlich mathematisch zu zahlen wäre.
Die 5 Methoden der Versicherer, um die Folgen der Langlebigkeit auf den Kunden zu schieben
Wie kann das passieren? Im Wesentlichen gibt es hier fünf Möglichkeiten für die Versicherung, seine Leistungspflicht flexibel zu gestalten. Als erstes kann ich die Berechnung des sogenannten Rentenfaktors, der die Umrechnung vom Kapital in die Rente bestimmt, zu Ungunsten des Kunden gestalten. Der Rentenfaktor berechnet sich aus dem Höchstrechnungszins und der vom deutschen Aktuarsverein berechneten Lebenserwartung. Ist der Zins, der der Berechnung zugrunde liegt, niedriger, sinkt auch die Leistung. Und genauso sinkt die Leistung, wenn die Lebenserwartung um ein paar Prozent erhöht wird. In der Spitze gibt es Versicherer, die 50% auf die Lebenserwartung draufschlagen und den Höchstrechnungszins von 0,9% auf 0,1% senken. Ich bin, ehrlich gesagt, zu doof, das auf Punkt und Komma auszurechnen. Aber 50% bedeutet schon mal eine Kürzung um die Hälfte.
Diese Anpassungsmöglichkeit ist für Vermittler sehr gefährlich, da in den Bedingungen häufig nur zu lesen ist, dass der Rentenfaktor zu 100% garantiert ist. Wie die Berechnung zustande kommt, lässt sich am einfachsten dem Produktinformationsblatt entnehmen. Das muss der Vermittler dann aber auch aufmerksam gelesen haben. In manchen Fällen muss ich auch die Versicherungsmathematischen Hinweise lesen. Aber, wollte ich irgendwas verstecken, dann würde ich es in das Buch legen, auf dem „Versicherungsmathematische Hinweise“ steht. Das liest doch keine Sau.
Rentenfaktor nur teilweise garantiert
Eine zweite Methode ist deutlich transparenter. Auf den normal berechneten Rentenfaktor wird ein Abschlag vorgenommen. Er wird nur zu beispielsweise 70% garantiert. Das lässt sich leicht den Bedingungen entnehmen. Wer nur das Produktinformationsblatt liest, könnte hier aber reinfallen. Denn die angegebenen Hochrechnungen sind in den allermeisten Fällen nicht mit dem garantierten, sondern mit dem heute gültigen Rentenfaktor berechnet. Und der steht logischerweise bei 100% Hier also immer Augen auf!
Die dritte Methode ist wieder deutlich kniffliger zu entziffern. Häufig gilt nämlich der garantierte Faktor nur zum Rentenbeginn. Und das ist der Tag, der im Versicherungsschein steht. Bei jeder Abweichung von diesem Tag berechnet der Versicherer neu. Wenn ich also nicht mit 67 am 1. März in Rente gehe, sondern einen Monat vorher oder nachher, wird meine Rente mit den Rechnungsgrundlagen berechnet, die an diesem Tag gelten.
Gilt der Rentenfaktor auf alles?
Die vierte Möglichkeit für den Versicherer, das Risiko der Langlebigkeit mehr auf den Kunden zu übertragen, besteht darin, den garantierten Rentenfaktor nicht auf das gesamte Vertragsguthaben zu beziehen. Dynamiken und Zuzahlungen werden neu berechnet mit dem zum Zeitpunkt der Zuzahlung gültigen Rentenfaktors. Im schlimmsten Fall gilt der Faktor nur auf die eingezahlten Beiträge. Alles Kapital aus Dynamiken und Kursgewinnen würde neu berechnet werden. Angenommen, ein Vertrag läuft 30 Jahre und ich zahle monatlich 100 Euro ein. Das macht dann 36.000 Euro. Bei 6% Zinsen über die Laufzeit erwirtschafte ich da fast 70.000 Euro. Also hab ich am Ende insgesamt knapp 106.000 Euro. Nur für die 36.000 Euro gilt der vereinbarte Rentenfaktor.
Und zu guter Letzt gibt es auch Versicherer, die für die Neuberechnung nicht den bei Renteneintritt gültigen Rentenfaktor benutzen, sondern sich in die Bedingungen schreiben, dass sie sich einen Rentenfaktor auswählen dürfen, der während der Vertragslaufzeit einmal gültig war.
Ich denke, es ist offensichtlich, dass jede dieser Möglichkeiten für den Vermittler zu unangenehmen Gesprächen führen kann. Und wenn der Kunde seine verlorene Rente wieder haben möchte, haftet der Vermittler für den entstandenen Schaden.
Die Folgen der Langlebigkeit vs. Niedrigzins
Ein großes Problem sind die anhaltend niedrigen Zinsen. Da Kunden und auch der Vermittler bei der Rentenversicherung immer noch sehr stark auf die erzielte Rendite achten, muss jeder Vertrag gut wirtschaften. Wenn es keine Zinsen gibt, muss ich Kosten sparen. Und Garantien, auch beim Rentenfaktor, verursachen Kosten.
Viele Versicherer möchten im Vergleich mit den anderen Marktteilnehmern gut abschneiden. Und der einfachste Vergleich ist eben der, der erzielten Rendite. Da lässt der Vermittler gern unter den Tisch fallen, dass die Rente eigentlich wichtiger ist.
Auf der anderen Seite ist es auch fraglich, ob ein heute garantierter Rentenfaktor tatsächlich hilft. Ein Versicherer, der 0,9% Zinsen nicht erwirtschaften kann, hat andere Probleme als die Folgen der Langlebigkeit. Allerdings ist bei der Langlebigkeit noch kein Ende abzusehen. In den kommenden Jahren wird es immer mehr 100-Jährige geben. Noch mehr als in der Rückschau zu errechnen war. Denn in Deutschland war seit über 70 Jahren kein Krieg mehr. Heute leben viele 100-Jährige deswegen nicht, weil sie im Krieg gefallen sind. Diese Lücke wird sich, zusätzlich zur ohnehin steigenden Lebenserwartung, in den nächsten Jahren schließen.