Augustinus soll sinngemäß gesagt haben, dass all dies auf eine Art wahr ist, weil es auf eine andere Art falsch ist. Es ist also alles eine Frage des Blickwinkels. Betrachtet man die Diskussion um die Zukunft der Absicherung der Arbeitskraft, muss man ähnliches feststellen. Aus Sicht der Versicherer führt aus Wettbewerbsgründen kein Weg an einer noch feineren Differenzierung vorbei. Aber aus Sicht der Vermittler und deren Kunden führt dieser Trend zum Ende der Absicherung der Arbeitskraft, wie wir sie kennen. Umfassender Schutz ist für einen großen Teil der Bevölkerung nicht mehr finanzierbar.

Die Berufsfähigkeits-Absicherung

Im Premium-Segment der Absicherung der Arbeitskraft, der Berufsunfähigkeits-Versicherung, zeigt sich dieses Spannungsfeld am deutlichsten. Vor einigen Jahren wurden hier zum Wohle der Kunden die Bedingungen verbessert. Das war auch gut so. Da Versicherungsunternehmen aber wirtschaftlich verantwortlich handeln müssen, wurden Wege gesucht, wie man trotz vermehrter Leistungsfälle durch die verbesserten Bedingungen rentabel arbeiten könne. Schnell wurde erkannt, dass bestimmte Berufe weniger risikoreich sind als andere.

Berufsgruppen-Differenzierung unumkehrbar

Und so wurden die Berufsgruppen ausdifferenziert. Die interessanten und rentablen Risiken wurden mit günstigen Prämien gelockt. Dadurch wurden die Versicherten-Kollektive geteilt. Folglich fand nun ein geringer Risikoausgleich innerhalb der Versicherten-Gemeinschaft statt. Die Folge der kleineren Kollektive war, dass die Prämien empfindlich anstiegen. Sie waren ja nun nicht mehr durch die günstigeren Risiken mitfinanziert. Da aber kein Versicherer als Auffangbecken für die risikoreichen Berufe herhalten wollte, erfinden die Unternehmen bis heute immer weitere Berufsgruppen. Das nimmt teilweise bizarre Ausmaße an.

Dieser Prozess ist unumkehrbar – staatlicher Eingriff mal ausgenommen. Und staatlichen Einfluss kann hier keiner wollen. Der Staat am wenigsten. Deshalb hat er ja 2001 die BU aus der staatlichen Absicherung genommen.

Würde ein Unternehmen aussteigen und wieder nur noch drei Berufsgruppen anbieten, wäre der Tarif nicht lange tragbar. Es ist zweifelhaft, dass sich für den Anbieter ein Rückversicherer finden ließe. Denn alle Kunden, die woanders teurer wären, würden diesen Versicherer auswählen. Und alle guten Risiken, die bei anderen Versicherern günstiger sind, würden andere wählen.

Und auch Absprachen aller Versicherer, zukünftig weniger Berufsgruppen zu nutzen, würde das Kartellamt streng beobachten…

Die immer detailliertere Differenzierung vernichtet den Grundgedanken der Versicherung vom Ausgleich eines nicht kalkulierbaren Risikos für den Einzelnen über eine Gemeinschaft. Irgendwann ist jedes Risiko so fein zerlegt, dass sich jeder selbst versichert.

Aber der Weg der Versicherer ist aus ihrer Sicht nachvollziehbar. Obwohl der Karren wohl mittelfristig an die Wand fahren wird.

Sinnvolle Lösungen für die Absicherung der Arbeitskraft sind gefragt

Auf der anderen Seite steht der Vermittler oder Berater, der seinen Kunden gerne passende Lösungen aufzeigen möchte. Die passende Lösung ist aber ab dem Mechatroniker meist nur noch unter Schmerzen finanzierbar. Rein körperliche Berufe haben zu der BU keinen Zugang mehr. Prämien von über 200 Euro für 1000 Euro Rente im Leistungsfall sind an der Grenze zum Zynismus. Und der Kunde kann für gewöhnlich nicht warten, bis es eine neue und bezahlbare Produktlösung für ihn gibt. Der Schutz verteuert sich mit steigendem Alter! Und Gesundheit ist im Allgemeinen ein zartes Pflänzchen. Und aus Sicht eines Risikoprüfers ganz besonders.

Um eine bezahlbare Prämie darzustellen, gibt es derzeit nur drei Möglichkeiten: Ich spare an der Rentenhöhe, am Leistungsumfang oder an der Leistungsdauer. Jede dieser Möglichkeiten ist mit einem mehr oder weniger gut kalkulierbaren Risiko behaftet, dass ich selbst zu tragen habe.

Absenkung der Rentenhöhe

Die Rentenhöhe so weit abzusenken, bis ich die Absicherung bezahlen kann, verbietet sich. Im Versicherungsfall bleibt so  immer eine empfindliche Lücke bestehen. Im schlimmsten Fall droht ALG II und die Leistung würde angerechnet. Dann habe ich die Beiträge für faktisch null Euro Rente bezahlt.

Ausweich- und Ergänzungsprodukte zur Absicherung der Arbeitskraft

Eine zweite Möglichkeit, um Prämie zu sparen, ist die Verringerung des Leistungsumfangs. Kann ich nicht meinen Beruf, wie er zu gesunden Tagen ausgestaltet war, versichern, dann muss ich eben meine Fähigkeit, ein Einkommen zu erzielen, absichern. Eventuell muss ich umschulen, um wieder ein Einkommen zu erzielen. Und wenn das nicht mehr finanziell sinnvoll zu lösen ist, dann muss die Erwerbsunfähigkeits-Versicherung oder Produkte zur Absicherung der Grundfähigkeiten oder bei Schweren Krankheiten herangezogen werden.

Durch eine Kombination dieser Produkte kann ich den Versicherungsschutz günstig und sinnvoll erweitern. Einige Versicherer bieten bereits sogenannte Multi-Risk-Versicherungen an, die verschiedene Risiken miteinander kombinieren. Da sich der Schutz an manchen Stellen überschneidet, können diese Produkte meist günstiger angeboten werden, als würden die einzelnen Policen selbständig abgeschlossen werden.

Es gibt grundsätzlich zwei unterschiedliche Arten der Multi-Risk-Policen. Die eine Art setzt auf einer Unfall-Versicherung auf und ist auch so kalkuliert, während die andere setzt auf einer Grundfähigkeits-Versicherung auf und ist nach Art der Leben kalkuliert.

Vergleichbarkeit bei der Absicherung der Arbeitskraft kaum möglich

Die große Herausforderung bei der Suche nach der passenden Absicherung liegt in der extrem schwierigen Vergleichbarkeit der einzelnen Produkte, denn die Definition einer Grundfähigkeit oder wann eine Schwere Krankheit eingetreten ist legt jeder Versicherer selbst fest.

Wenn der Vermittler oder Berater das intensive Studium dieser Produkte aber auf sich nimmt und die Definitionen der Versicherer kennt, dann steht ihm eine ganze Palette an Möglichkeiten zur Verfügung, den passenden Schutz für seinen Kunden zu finden. Über die kreative Kombination verschiedener Produkte lässt sich hier eine kostengünstige und individuelle Absicherung basteln.

So bezöge ein Berufskraftfahrer – immerhin die größte Berufsgruppe in Deutschland – über eine Grundfähigkeits-Absicherung einen recht passablen Schutz, da der Verlust der Fahrlizenz zu versichern wäre. In Kombination mit einer günstigen Erwerbsunfähigkeits-Versicherung oder dem entsprechenden Baustein ließen sich auch psychische Erkrankungen abdecken.

Generell trage ich aber wieder einen Teil der möglichen finanziellen Folgen, nämlich aus gesundheitlichen Gründen aus meinem erlernten Beruf auszuscheiden, selbst.

Verkürzung der Laufzeit

Am leichtesten kalkulierbar ist das selbst zu tragende Risiko, wenn man die Laufzeit einer BU-Versicherung verkürzt. Schließe ich meine BU mit 1000 Euro Rente nicht bis Endalter 67, sondern nur bis 62 ab, verliere ich im schlimmsten Fall 60.000 Euro an Leistung. Die ersparten Beiträge summieren sich je nach Versicherer auf zwischen 10.000 – 15.000 Euro. Vernünftig angelegt entsprechend mehr. So liegt das eigene Risiko mehr oder weniger deutlich unter 50.000 Euro. Das gesparte Geld steht mir in jedem Fall zur Verfügung, die 60.000 Euro Rentenleistung nur möglicherweise. Allerdings ist die Wahrscheinlichkeit eines BU-Falles in den letzten 5 Jahren deutlich höher als mit Mitte 30.

Dafür ist das Netz der staatlichen Sozialhilfe in dieser Altersstufe deutlich dichter geknüpft. Sollte ich nämlich BU sein, aber noch nicht erwerbsgemindert im Sinne der deutschen Rentenversicherung, bin ich arbeitslos. Ich erhalte ab einem Alter von 58 bei Eintritt der Arbeitslosigkeit für 2 Jahre Arbeitslosengeld. Mehr nicht. Beziehe ich zeitgleich eine BU-Rente, dann empfiehlt es sich, wenn möglich Geld auf die Seite zu legen. Denn erst mit 63 erfolgt eine Zwangsverrentung aufgrund von Arbeitslosigkeit. Ich beziehe also wieder eine staatliche Rente.

Bedenken bei Kürzung der Absicherung der Arbeitskraft

Hier sind grundsätzlich zwei Bedenken anzumelden: Zum einen birgt es ein hohes Risiko, staatliche Leistungen einzuplanen. Denn eine Änderung bzw. Verringerung der Ansprüche ist nicht planbar und nur sehr bedingt beeinflussbar. Zum anderen wird durch die Frühverrentung mein Alterseinkommen durch Abschläge bis zu 14,4% und nicht erworbene Entgeltpunkte empfindlich gemindert. An dieser Stelle lässt sich sehr deutlich sehen, dass eine gute Risikoabsicherung grundlegend ist, um das schönste aller Risiken, nämlich das der gesunden Langlebigkeit, erfolgreich abzusichern.

Möchte ich zwischen 62 und 67 nicht das ganze Risiko alleine tragen, gibt es eine Möglichkeit, einen Teil des Risikos wieder an den Versicherer zurückzugeben.

Ich kann alternativ auch 2 Verträge abschließen. Einen mit Vertrags- und Leistungsdauer bis 67 und einen zweiten mit Vertragsdauer bis 62 und Leistungsdauer bis 67. Je nach Risikoneigung und persönlicher Lebenssituation kann ich die Rentenhöhe auf die beiden Verträge verteilen oder die Vertragsdauer des kürzer laufenden Vertrages nach vorne oder hinten verlegen.

Das ist sinnvoll, wenn ich verschiedene laufende Kosten habe. Laufende Kosten für meine Kinder habe ich beispielsweise in der Regel nicht bis 67, sondern nur bis sie selbst Geld verdienen. Und auch ein Haus ist hoffentlich vor 67 abbezahlt.

Fazit

Grundsätzlich muss ich mir einer Sache bewusst sein. Wenn ich an der Absicherung spare, fällt ein Teil des Risikos auf mich zurück. Nur wenn ich bereit und in der Lage bin, diesen Teil des Risikos eigenständig zu tragen, darf ich mir Gedanken darüber machen, ob ich eventuell auf die Absicherung verzichten will. Denn bei den grundlegenden biometrischen Risiken – Arbeitskraft, Krankheit, Pflege, Langlebigkeit und Tod – geht es um die Absicherung der eigenen Existenz und/oder der meiner Familie. Diese Absicherung muss optimal an meinen Bedarf angepasst sein. Denn eine Lücke bringt, egal wo, die Ziele der anderen Absicherungen in Gefahr. Wo ich am Leistungsumfang spare und wo an der Laufzeit oder gar an der Absicherungshöhe, muss ich individuell prüfen. Und mit allen Beteiligten intensiv besprechen. Auch mit einem Experten 😉