Immer mehr Versicherer beginnen, sich vom reinen Leistungserbringer hin zum Gesundheitsmanager der Kunden weiter zu entwickeln. Was bisher angeboten wird, ist jedoch nur ein Anfang. Hier ist noch viel Potential vorhanden.
Ein Gastkommentar von Joachim Haid – Gründer des Gesundheitsprogramms PaleoMental®
Vor ein paar Jahren begannen Versicherer Rechnungs-Apps zu entwickeln und ihren Kunden anzubieten. Hierüber konnte Leistungsrechnungen digital zur Erstattung eingereicht werden. Inzwischen kooperieren die ersten Versicherer in Deutschland mit externen App-Anbietern, um deren Apps den Versicherten für präventive Zwecke kostenfrei, oder zu Vorzugskonditionen zur Verfügung zu stellen. Dabei handelt es sich meist um Anti-Stress-Apps sowie Anwendungen für Achtsamkeitstraining, gesunde Ernährung, sportlicher Motivation und/oder Fitness-Tracker. Weiterhin testen Versicherer die Zusammenarbeit mit Anbietern von Heimtests, beispielsweise im Bereich der Stuhl-Analyse.
Ein erster Schritt – vieles ist noch möglich
Gerade erst haben Krankenversicherer einen Fonds mit 100 Millionen Euro aufgelegt, der von zwei Berliner Investoren verwaltet wird. Der Investmentfokus liegt dabei auf Healthtech-Startups aus den Bereichen digitale Gesundheitsanwendungen, Telemedizin, digitale Prävention und der Digitalisierung der Pflege. Das sind interessante erste Schritte in die richtige Richtung. Jedoch ist hier noch vieles zusätzliches möglich.
Psychische Erkrankungen sind im Bereich der Berufsunfähigkeitsversicherung bereits der primäre Leistungsfallauslöser. Da ist es nur verständlich, dass Anbieter entsprechender Versicherungsprodukte ihren Kunden Apps anbieten wollen, mit denen die Gefahr für einen Burnout, oder einer Depression rechtzeitig erkannt bzw. Gegenmaßnahmen durch Resilienztraining, Meditation und Atemtechniken unterstützt werden sollen.
Einfachheit und Skalierung ist nicht alles
Solche Apps können leicht im Bestand ausgespielt werden und damit ein präventives Geschäftsmodell skaliert werden. Eines der Lieblingswörter von Start-Ups und Versicherern, wenn es um das Thema Digitalisierung geht. Jedoch ist die reine Skalierbarkeit zu kurz gedacht. Meditation und Atemtechniken können natürlich sehr gut unterstützen, psychisch herausfordernde Zeiten besser zu meistern.
In vielen Fällen ist dies jedoch Symptombehandlung und oftmals nicht ausreichend? Deshalb ist der eine von einer bestimmten Arbeitsbelastung negativ gestresst (Distress), während der andere dabei erst so richtig aufblüht (Eustress)? Immer mehr erkennt die Forschung, dass beispielsweise die Darmbesiedlung hier eine sehr große und wichtige Rolle spielt. Dysbalancen im Darm, kommen sehr häufig bei psychischen Erkrankungen wie Burnout, Depressionen, Angststörungen und Panikattacken vor.
Hinzu kommen Nährstoffmängel, wie bei der Aminosäure Tryptophan und Magnesium, um nur zwei bekannte Beispiele zu nennen. Hier nutzt eine App genau so wenig, wie dem Kunden im Rahmen einer Kooperation eine Stuhl-Diagnostik anzubieten. Letzteres ist zwar ebenfalls wieder ein nächster Schritt in die richtige Richtung. Jedoch darf der Kunde mit dem Ergebnis nicht alleine gelassen werden. Auch Nährstoffmängel spielen eine entscheidende Rolle.
Werden diese rechtzeitig diagnostiziert, beispielsweise durch ein orthomolekulares Blutbild, können sie gezielt, präventiv ausgeglichen werden. Während wir in den Industrieländern mit Kalorien eher überversorgt sind, verhungern wir bezüglich der Nährstoffversorgung sprichwörtlich vor vollen Tellern. Hier ist eine individuelle Auswertung unter Berücksichtigung der persönlichen Situation und Ernährung des Kunden sehr wichtig. Einfachheit, Skalierung und Digitalisierung sind eben nicht alles.
Krankenversicherer besitzen wertvolle Informationen
Gerade Krankenversicherer können im Bereich der Prävention besonders effektiv ihre Kunden unterstützen. In Deutschland, wie auch in anderen Industrieländern, verfügen wir glücklicherweise über den Zugang zu einer sehr guten Akutmedizin. Während wir also für den Notfall hervorragend gerüstet sind, scheitern wir in Deutschland daran, die Menschen gesund zu halten. Ein Anbieter von Versicherungen zur Arbeitskraftabsicherung erhält Informationen zum Gesundheitszustand des Versicherungsnehmers lediglich bei der Antragsstellung und im Leistungsfall.
Ein Krankenversicherer bekommt hier während der Vertragslaufzeit sehr viel mehr Informationen. Denn jede eingereichte Rechnung ist ein Leistungsfall. Selbst der Lebensversicherer könnte seine Interessenten bereits bei Antragsstellung und die Versicherungsnehmer im Leistungsfall noch mehr dabei unterstützen, den Gesundheitszustand wieder zu verbessern. Einem Krankenversicherer wäre dies deutlich leichter möglich.
Denn mit jeder Behandlungsrechnung die eingereicht wird, erhält der Versicherer auch Informationen über die Diagnosen seiner versicherten Person und mit jedem Rezept das Wissen über verschriebene Medikamente. Der Versicherungsnehmer hat oftmals mehrere Ärzte, die nicht unbedingt voneinander wissen. Er hat aber häufig nur einen Krankenversicherer, bei dem alle Informationen über den Gesundheitszustand des Kunden zusammenfließen.
Informationen im Kundensinne nutzen
Wird beispielsweise ein Rezept über Statine, so genannte Blutfettsenker zur Erstattung eingereicht und wird damit nicht gleichzeitig das Co-Enzym Q10 verschrieben, so könnte der Krankenversicherer seinen Kunden darüber aufklären, dass viele Nebenwirkungen der Statine bedingt durch einen Q10 Mangel sind. Denn die Medikamente senken nicht nur die Blutfettwerte, sondern stören dabei gleichzeitig die Q10 Produktion des Körpers. Obwohl dies seit Jahrzehnten bekannt ist, wird Q10 noch immer nicht automatisch durch Ärzte zusammen mit Statinen verschrieben.
Würde nun der Krankenversicherer in solchen Fällen die Erstattung dieser Nahrungsergänzung auch noch übernehmen, wir die Sache rund. Auch hier sollte der Versicherer nicht stehen bleiben. Denn sowohl Statine, wie auch Q10, sind in diesem Fall ebenfalls nur Symptombehandlung. Die Frage ist doch, weshalb sind die Blutfettwerte des Patienten so hoch, dass eine Statinbehandlung notwendig wird? In vielen Fällen ist dies bedingt durch die Ernährung und den Lifestyle. Entgegen der langjährigen Meinung, es würde rein am zu hohen Fettkonsum des Patienten liegen, wissen wir schon lange, dass ein wesentlicher Auslöser der zu hohe Konsum bestimmter Kohlenhydrate ist. Hier könnte der Kunde dabei begleitet werden, seinen Gesundheitszustand wieder zu verbessern.
Das gleiche gilt im Falle von Diabetes Typ II. Inzwischen leidet fast jeder zehnte Deutsche an Diabetes. In über 95% der Fälle handelt es sich dabei um Diabetes Typ II. Dieser wiederum ist meist durch entsprechenden Lebensstil selbst verschuldet. Auch hier kann der Patient dabei durch seinen Krankenversicherer unterstützt werden, seinen Gesundheitszustand zu verbessern. Wir wissen heute, dass über 60% aller Diabetes Typ II Patienten geheilt werden könnten! Sie hätten also keinen Diabetes mehr. Allerdings geht auch hier eine App, die zu mehr Sport und gesünderer Ernährung motivieren soll zu kurz. Der Mensch muss die Zusammenhänge seiner Erkrankung wissen, um selbst zu erkennen, welche Ernährungs- und Lebenstilfehler begangen wurden, die überhaupt erst zum Ausbruch der Krankheit geführt haben. Wird der Patient nun noch dabei individuell begleitet, kann der Versicherungsnehmer aus intrinsischer Motivation heraus seinen Gesundheitszustand nachhaltig verbessern.
Besseres Image der Versicherungsgesellschaften
Wäre es nicht schön, wenn ein Versicherungsnehmer sich künftig nicht über eine Beitragserhöhung in den sozialen Medien negativ äußert, sondern einmal schreibt:
„Mein Versicherer hat mir als Diabetiker dabei geholfen, dass ich heute wieder geheilt bin“
So etwas wäre nicht nur sehr wertvolles Marketing, es würde auch das gesamte Versichertenkollektiv vor stark ansteigenden Beitragserhöhungen in der Zukunft schützen. Hier könnten Big Data und menschliche Unterstützung des Versicherungsnehmers optimale kombiniert werden.